Isolde als Sirene
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Nichts für politisch Korrekte, was sich am Ende dieses seinsgeschichtlichen Freilegens zeigt – und wohl auch nichts für die »Literaturgeschichte«. Es war eben das, was Friedrich Kittler in der »Literatur« (nicht nur des Mittelalters) suchte – und fand. Im Zentrum des dritten, des Mittelalter-Bandes von »Musik und Mathematik«, dem »Hellas« und »Rom« vorausgingen, sollte die Liebe von Tristan und Isolde stehen. Glücklicherweise verfügen wir über einen Text aus seinem Nachlaß, der mehr als nur die Richtung weist, in die es in diesem Buch gehen sollte. Aus der Vielzahl der im Raum der französischen und der deutschen Volkssprachen um 1200 zirkulierenden Erzählungen hatte Friedrich Kittler die »Folie Tristan« in der Oxforder Version gewählt, weil sie im Gegensatz zu den häufigen Fragmenten den Status einer in sich geschlossenen textuellen Komposition hat. Seine penible Übersetzung in deutsche Blankverse, die für den vorgegebenen Ton eine eigene Sprache sucht und weder Archaismen noch überraschend moderne Wendungen scheut, führt schon ein in eine Freilegung, die sich bei Kittler so anliest: »Vor allen Leuten oder Göttern miteinander schlafen, das ist am Hof Nausikaas ein ebenso besungener wie belachter Frevel zweier Götter, der Aphrodite und des Ares. In der »Folie Tristan« aber wird es – ganz wie bei Gottfried – eine Heldentat. Wer solche Übertretung den Ketzerlehren der Katharer gleichstellt, hat untertrieben, ja verspielt. Nur im Eideszeugnis wider Gott, den einen, gönnt Liebe Gegenliebe.«Hans Ulrich Gumbrecht, in seinen frühen Jahren selbst romanistischer Mediävist und Mitherausgeber des gewaltigen »Grundrisses der romanischen Literaturen des Mittelalters«, führt unter dem Titel »Tristans Narrheit als Wahrheitsereignis« nicht nur in diese inkommensurable Übersetzung und in »Isolde als Sirene« ein, sondern exemplarisch in das Gesamtwerk des späten Friedrich Kittlers. Zugleich ist dieser Band unüberlesbar: ein Buch der Freunde.