Der freie Fall des Ikaros
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Eurokrise, Schulden, Sparprogramme - das geht nicht spurlos an den Südeuropäern, besonders den Griechen, vorbei, die sich mit viel Kraft und Wut, Geduld und Hoffnung durch einen immer schwerer werdenden Alltag schlagen. Auch nicht an Willi F. Gerbode, der sich wieder einmal auf den Weg in seine zweite Heimat gemacht hat. In zahlreichen Gesprächen mit den Bewohnern griechischer Inseln und in Athen sieht der Autor, wie es den Griechen jetzt im dritten Jahr der Schulden-Krise geht, fühlt ihre Ängste, hört von ihren Hoffnungen. Er spricht die Landessprache und erfährt so ganz unmittelbar, dass selbst ein Bürgerkrieg nicht mehr auszuschließen ist. So stark sind die Verwerfungen in der Gesellschaft. So sehr igeln sich die Menschen in ihrer Familie, der ikojénia, ein. Arbeitslosigkeit für jeden Vierten. Die Hälfte der Jugendlichen ohne Job. Zahlreiche „Gastarbeiter“ aus Osteuropa als Niedriglohn-Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt. Eine Polizei, die zu einem gehörigen Teil rechtsradikal wählt. Die Steuerverweigerung vieler Hoteliers und Freiberufler. Unter die Armutsgrenze hinaus gekürzte Mindestlöhne und Renten. Ein drastischer Anstieg der Selbstmorde. Ärzte, die nur noch gegen Cash behandeln. Die Sozialkassen vor dem Kollaps. Ein Zustrom von Migranten, der Toleranz und Leistungsfähigkeit des Landes überfordert. Eine Kaste von unfähigen, unwilligen, populistischen Politikern. Der griechische Staat: für die Bürger ein Feind, für die Partnern der Eurozone unzuverlässige Kantonisten. — Alles zusammen ein schauerliches Gemisch, ein schicksalhaftes Geschenk für die Radikalen von Rechts und Links, eine Aufforderung, den gesellschaftlichen Kessel zum Explodieren zu bringen. Der freie Fall des Ikaros. Die Griechen im Kampf um Europa ist eine Bestandsaufnahme all dessen. „Bürgerkrieg?“ Es gab kaum Verwunderung bei den Gesprächspartnern Gerbodes. „Wir haben ihn doch bereits!“ Und sie meinen nicht nur die strukturelle Gewalt, eine Krake, die das Land zu ersticken droht. Hoffnung für Hellas? Nein, sagt der Autor bedauernd, und führt dafür mehr als gute Gründe an. Doch die Luft in der Öffentlichkeit ist voller Nebelkerzen, der Bedarf an sachlicher Information, die über die nackten Zahlen hinausgeht, groß. Der freie Fall des Ikaros setzt den Weg fort, den Willi F. Gerbode bisher in seinen Griechenland-Büchern gegangen ist. Wieder liefert er seinen Lesern in einem Balanceakt zwischen Unterhaltung und Hintergrundinformationen zahlreiche Mosaiksteinchen. Er überlässt es ihnen, sich ein Bild von der Lage zu machen und daraus ein Urteil zu bilden. Der europäische Weihrauch hat sich verzogen. Die Skepsis wächst. Das Handeln der Institutionen und Politiker wird immer weniger verstanden. Der Ton ist nicht nur in der Politik schärfer geworden. Er hat alle erreicht. Aggressivität und Hetze sind der Schmierfilm, auf dem Hass die Menschen - nicht nur in Griechenland - in die Katastrophe rutschen lässt. Willi F. Gerbode versteht Der freie Fall des Ikaros als ein Plädoyer für mehr Menschlichkeit: Bei all den Problemen und Ängsten sollten wir eines nicht verlieren - unsere Mitleidsfähigkeit!