Prostitution auf der Kurfürstenstraße
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Der Straßenstrich an der Kurfürstenstraße hat eine lange Tradition. Während die Gegend in den Siebziger Jahren aufgrund der Prostitution oft minderjähriger Heroinabhängiger berühmt-berüchtigt wurde, zeigt sich heute ein anderes Bild. „Hier gibt es keine Regeln“ - so beschreibt eine Frau, die schon seit vielen Jahren an der Kurfürstenstraße arbeitet, das soziale Gefüge. Damit wird der anarchisch geprägte Charakter des Straßenstrich deutlich, der vom vorherrschenden Bild der Prostitution abweicht. An der Kurfürstenstraße gehen verschiedene Gruppen unterschiedlichen Formen der Prostitution nach: Professionelle Prostituierte, mit steuerlicher Anmeldung und ohne Drogenkonsum, die die Freiheit der Straße einer Arbeit im Bordell vorziehen. Ältere Frauen erarbeiten sich einen Nebenverdienst, um unzureichende Sozialleistungen oder geringe Löhne in typischen Frauenberufen wie Gastronomie und Altenpflege zu ergänzen. Frauen aus osteuropäischen Ländern, häufig Roma, entfliehen der Diskriminierung und wirtschaftlichen Aussichtslosigkeit in ihren Heimatländern, um durch Armutsmigration ihre Familien zu ernähren. Und hier arbeiten noch immer drogenabhängige Frauen, die im Schnitt jedoch deutlich älter sind als zu Zeiten des „Babystrichs“. Die verschiedenen Gruppen grenzen sich stark voneinander ab, es herrscht eine harte Konkurrenz. Es wird deutlich, dass der ökonomische Druck des freien Marktes auch den Bereich der Prostitution bestimmt. Das 2002 in Kraft getretene Prostitutionsgesetz sollte die Arbeitsbedingungen der Frauen verbessern. Die Frauen an der Kurfürstenstraße aber können von den Regelungen kaum profitieren. Dies zeigt sich in der Analyse von siebzehn Interviews, die die Lebens- und Arbeitssituation der Frauen beschreiben. Hier liegt auch der Schlüssel zu einer Erklärung. Denn die Lebenssituationen der Frauen sind mehr oder weniger prekär. Sie sind drogenabhängig, der Armut entflohen, haben Schulden oder kommen mit ihrem Lohn oder Sozialleistungen nicht über die Runden. Daraus ergeben sich, unterschiedlich starke, ökonomische Zwänge, die sich negativ auf die Arbeitsbedingungen der Frauen auswirken. Sie haben eine Wahl - aber eine eingeschränkte. So können sie auch in der Ausübung der Prostitution nur bedingt frei entscheiden, wenn es um Kunden, die Art der sexuellen Dienstleistung oder Preise geht. Dies führt zu einer Gefährdung ihrer Sicherheit und Gesundheit. Ein einfaches Erklärungsschema, das den Frauen entweder eine freie, vollkommen unabhängig getroffene Entscheidung unterstellt oder sie als Opfer von Zuhältern begreift, die sie zur Prostitution zwingen und ausbeuten, kann die komplexen Zusammenhänge nicht erfassen. Ausbeutung im strafrechtlichen Sinne wird nicht beschrieben, jedoch eröffnet die Perspektive auf soziale Beziehungen ein Verständnis vielschichtiger Abhängigkeitsverhältnisse, auch auf psychologischer Ebene, die beispielsweise bei den drogenabhängigen Frauen die Grenze zwischen Partner und ausbeuterischem Zuhälter verschwimmen lassen.