Ab durch die Mitte

Die Mittelschicht galt lange Zeit als Maß aller Dinge. Sie definiert sich durch ihre Teilhabe an Bildung, Kultur und bürgerlichen Werten. Sie ist gekennzeichnet durch eine bestimmte Weltsicht, Wertvorstellungen, durch eine Bildungs- und Leistungsorientierung, durch ein ausgewogenes Verhältnis von staatlicher Fürsorge und Eigenverantwortung sowie Sicherheitsbedürfnis und Risikobereitschaft, durch eine Balance von Sicherheit und Freiheit. In der Mitte lässt es sich gut leben, Freiheit und Freizeit, Konsum wie Konsumkritik sind im Mittelstand zuhause. Doch Risiken im Job, mehr Konkurrenzdruck und eine wachsende Ungleichheit in der Gesellschaft verunsichern immer mehr Menschen. Das neue Gefühl: Es kann jeden treffen. Nichts beunruhigt die Deutschen dabei mehr als die Tatsache, dass selbst bei Unternehmen, denen es gut geht, die Arbeitsplätze nicht mehr sicher sind. Eine neue Angst treibt die Mitte der Gesellschaft um - nicht zu verwechseln mit den Nöten und Sorgen der Mittel- und Arbeitslosen, der Ausgegrenzten und der Unzähligen, die den Absturz vor Augen haben. Nicht nur diejenigen, die bereits selbst Abstiegserfahrungen erleiden mussten oder ohne aussichtsreiche Zukunftsperspektiven von Armut betroffen sind, können als Problemgruppe identifiziert werden, sondern auch diejenigen, die zwar nicht luxuriös leben, aber immerhin noch etwas zu verlieren haben. Armutslagen sind nicht mehr nur vorübergehende Problemlagen kleiner Bevölkerungsgruppen - vielmehr handelt es sich um dauerhafte Erscheinungen, die weite Teile der Bevölkerung betreffen. Nachdem Menschen in mittleren sozialen Lagen in den vergangenen Jahrzehnten von der wirtschaftlichen Entwicklung profitiert haben, machen sie sich nun zunehmend Sorgen etwa darüber, ob sie ihren Lebensstandard werden halten können, ob sie arbeitslos werden und dann auch ihre Altersversorgung in Gefahr gerät oder ob sie ihren Kindern eine gute Ausbildung ermöglichen können.