Günter Grass und die Deutschen
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Kein Autor hat nach dem Zweiten Weltkrieg größeren Einfluss auf die Politik und das politische Selbstverständnis der Deutschen gehabt als Günter Grass. Harro Zimmermanns glänzend formulierter Essay beschreibt Grass’ wechselhaften Aufstieg zum Nationalautor. Schon in der »Blechtrommel« (1959) modellierte Grass ein durch Nazi-Wahn, Krieg und Holocaust ruiniertes Deutschland zu jener Ausnüchterungs-Groteske, die dem Ungeist von Beschweigen und falscher Versöhnung das Höllengelächter eines kleinbürgerlichen Schuld-Syndroms entgegenhielt. Wie mit keinem anderen Autor übte die bundesdeutsche Republik mit Günter Grass das politische Buchstabieren. Zugleich stieg Grass im Kanon der Weltliteratur zur Berühmtheit auf. Nur eine Ikone wie er vermochte über Jahrzehnte die geschichtspolitischen ebenso wie die aktuellen Debatten so glaubhaft wie skandalumwittert zu schüren und den Deutschen ihren von Rückschlägen gebeutelten Fortschritt im Schneckengang begreiflich zu machen. Es gibt eine Glanz- und Glücksgeschichte des Intellektuellen und Nobelpreisträgers von 1999, aber es gibt auch eine konfuse Streit- und Diskriminierungshistorie dieses Künstlers, dessen Lebenswerk auf widersprüchlichste Weise mit der deutschen Geschichte verbunden ist. Zum 90. Geburtstag von Günter Grass legt Harro Zimmermann ein Buch vor, das dem »Fall Grass« eine überraschend erhellende Bedeutung zuweist für das nationale Befindlichkeitsfieber im Selbstverständigungsprozess der Bundesdeutschen.