Eine "verlorene Schlacht"
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Dass die Daily-Telegraph-Affäre im November 1908 zu einem innenpolitischen Erdbeben im spätwilhelminischen Kaiserreich geführt hat, ist heute unbestritten. Zum ersten Mal in der Geschichte des Hohenzollernreichs befand sich der umtriebige Kaiser Wilhelm II. im Deutschen Reichstag wegen seines „persönlichen Regiments“ auf der Anklagebank, während Reichskanzler Bernhard von Bülow, der die im Daily Telegraph abgedruckten Kaiseräußerungen gekannt und zur Publikation freigegeben hatte, sich im neunten Jahr seiner Kanzlerschaft mit Rücktrittsforderungen konfrontiert sah. Besonders brenzlig wurde die Situation für beide Ende November jenes Jahres, als eine Veröffentlichung des Hale-Interviews drohte: In einer freimütigen Aussprache mit dem amerikanischen Journalisten William B. Hale hatte der Kaiser auf seiner Nordlandreise im Juli 1908 mit einem Krieg gegen England gedroht und ihn sogar als unvermeidlich bezeichnet („je eher, desto besser“). Mit gutem Grund trug sich Wilhelm II. in jenen Tagen mit dem Gedanken eines Thronverzichts, von dem er erst wieder Abstand nahm, als Hale jede Publikationsabsichten von sich wies. Der durch jene beiden Kaiserinterviews angerichtete innen- und außenpolitische Schaden (das Hale-Interview gelangte durch Indiskretionen zur Kenntnis des amerikanischen Präsidenten und des Foreign Office) war freilich irreparabel. Im Inland war das Schwinden des Kaisermythos zu beobachten, im Ausland machten sich die Angst vor dem unberechenbaren teutonischen Riesen und der schwindende Glaube an die Friedfertigkeit der deutschen Politik geltend.