Entfesselte Schrift
Autoři
Více o knize
›Annäherungen an die Zensur‹: so könnte, aus einer bestimmten Per- spektive betrachtet, das durch die unterschiedlichen Gegenstände kaum verhüllte Thema dieser Aufsätze lauten. Gemeint wäre damit jener in allen sprachlichen Äußerungen wirksame Mechanismus der Unterdrückung, der sich vielleicht an den absichtslos hingestreuten am überzeugendsten beobachten lässt. Wer spricht, zensiert und wird zensiert. Dabei bleibt es gleichgültig, ob er mit sich oder mit anderen redet und wie bewusst oder unbewusst das geschieht. Da die Schwel- le zwischen beiden Zuständen in der Rede selbst liegt, ›entscheidet‹ letztere darüber, ob, wann, wie oft und mit welchem Ziel sie passiert wird. Der Zensor wacht darüber, was an Sagbarem ungesagt bleibt. Als innere Instanz ähnelt er ebenso sehr dem daimonion des platonischen Sokrates wie dem in jeder Gesellschaft virulenten Sinn für das ›Schick- liche‹. Bevor eine Rede als anstößig gilt, muss sie irgendwann die Kontrollen passiert und wirklich Anstoß erregt haben. In diesem Sinn ist die Ermittlung dessen, was sich in der Sprache gehört, als empiri- scher Vorgang zu begreifen. Die Hauptarbeit ist stets schon geleistet, sobald jemand ›den Mund aufmacht‹ oder zu einem der bereitste- henden Schreibgeräte greift. Vieles, was gesagt werden könnte, ›hat sich erübrigt‹, anderes ›steht nicht auf der Agenda‹, wieder anderes stört oder trägt einen Index: Cave! Zensur ist ein akkumulatorischer Prozess.