Satz_Auerbach.indd
Autoři
Více o knize
Es geht hier um den russischen Hintergrund für die deutsche Einheit. Glasnost´ hat 1990 zu einem Machtverfall Gorbatschews zugunsten Jelzins geführt. Nach der Souveränitätserklärung der RSFSR wurden Banken und Industrie auf russischem Boden nationalisiert, d. h. dem Präsidenten der Union brachen die Einnahmen weg, was ihn von Kohls deutschem Kapital und dessen Lebensmittellieferungen abhängig machte. Die Russen interessierten sich nach Aussage von Flugblättern und Kleinschriften wenig für die Vorgänge in Deutschland und in Ostmitteleuropa, sondern sie debattierten über ein neues Rußland, Tempo und Inhalt von Verfassungs- und Wirtschaftsreformen (Menschenrechte, Mehrparteiensystem, Präsidialsystem, Militärdiktatur, Monarchie, Aufrechterhaltung der Union oder Souveränität für Republiken, Nationen und Nationalitäten, Plan- oder Marktwirtschaft), die Bewältigung der stalinistischen Vergangenheit und eine moralische Erneuerung der Gesellschaft. Gorbatschews und Sacharovs Ansatz, um der Modernisierung willen allmählich rechtsstaatliche Verhältnisse zu schaffen, die Grundvoraussetzung für eine funktionierende Demokratie, fand in der demokratischen Bewegung wenig Anklang. Den Ideologen der Demokratiebewegung, oft Künstler und Geisteswissenschaftler, lagen ökonomische Fragenstellungen relativ fern. Nur selten gingen sie daher überhaupt auf im Hintergrund der Bürokratie ablaufende Prozesse der Privatisierung von Volkseigentum ein, sahen hier jedenfalls keinen politischen Handlungsbedarf, zerstritten, in kleine und kleinste Grüppchen aufgespalten, wie sie waren. Die sie formal einigende Organisation „Demokratisches Rußland“ betrieb kritiklos Personenkult an Jelzin, unterstützte dessen überstürzte Einführung der Marktwirtschaft und die Zerschlagung der UdSSR durch Souveränitätserklärungen einzelner Republiken. Die Gefährdung des Demokratisierungsprozesses durch ein Überleben des überkommenen Klientelsystems wurde nicht thematisiert, die moralische Erneuerung blieb daher aus.