Jenseits des Dnjestr
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Zweiundfünfzig Jahre danach. Ein Menschenleben später. Trotzdem ist alles in meinem Gedächtnis lebendig, als wäre es gestern geschehen. Damals war ich erst 14 Jahre alt und habe noch heute, 52 Jahre später, nichts vergessen. Selbst wenn ich wollte, könnte ich eine so traurige Seite meines Lebens nicht vergessen: der Alptraum von mehr als 14 Monaten in einer Hölle. Wir waren eine Gruppe von 212 Menschen, aus Bukarest nach Transnistrien deportiert: Männer, die angeblich bei der Zwangsarbeit fehlten, Frauen, Kinder, alte Leute. Diese Gruppe wurde drei Wochen später durch 72 junge Juden vergrößert, von Marschall Antonescu ebenfalls zur 'Disziplinierung' deportiert, wenn auch glücklicherweise ohne ihre Familien. Als Mädchen habe ich alles, was geschah, mit der Neugier meines Alters erlebt. Im Unterschied zu anderen Deportierten schrieb ich jedoch Tag für Tag in mein Tagebuch, was ich sah und fühlte. Darin liegt die Erklärung für meine genaue Erinnerung, selbst 52 Jahre danach. Fast jede Zeile dieses Buches zu schreiben, war für mich eine Pein. Während des Schreibens erlebte ich die Tage der Deportation noch einmal: Angst, Ekel, Elend, Flüche, Hunger, Kälte, Schläge. Mein Herz tat weh, und ich weinte. Aber ich schrieb weiter. Ich musste an die Gefährten der Deportation um so intensiver denken, da die meisten heute nicht mehr leben. Meine Gedanken ziehen sich aus der Gegenwart heraus und werfen mich zurück in jene Jahre, die tief in mir eingeprägt sind. Denn ich bin eigentlich noch immer in Transnistrien und leide weiter. Diese Erfahrung kann man 'Deportations-Syndrom' nennen. Immer wieder muss ich daran denken, dass mehr als 50 Menschen aus unserer Gruppe in Transnistrien ums Leben kamen, 50 von etwa 90.000 Juden aus Rumänien, die in Ghettos, Lagern oder auf Todesmärschen starben. Für alle, die nicht zurückkehrten und in Transnistrien in Massengräbern oder auch ohne Grab geblieben sind, habe ich dieses Buch geschrieben. Wer verzeihen kann, soll verzeihen; denn Verzeihen ist etwas Menschliches. Wir können nicht immer mit Hass leben. Wir dürfen aber niemals vergessen. Vergessen tötet ein zweites Mal. Holon/Israel, im Februar 1995 (Aus dem Rumänischen von Radu Neculau)