Republik ohne Mitte
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Die bundesdeutsche Konsensgesellschaft zeigt Risse. Gegenwärtig sind die Deutschen mit der oft schmerzhaften Erkenntnis konfrontiert, dass moderne pluralistische Gesellschaften ohne substanzielle Mitte, ohne eindeutig definierbaren Identitätskern auskommen müssen. Ideologische Gewissheiten lösen sich auf, vertraute gesellschaftliche Strukturen verschwinden oder geraten unter den Druck, sich neu legitimieren zu müssen. Ob in den Fragen der Staatsbürgerschaft und Einwanderung oder der Biotechnologie: Der Versuch, neuen Herausforderungen durch den Rückgriff auf hergebrachte Denkmuster und vorgefertigte Wertetabellen zu begegnen, misslingt. Alle gesellschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten erweisen sich nach und nach als verhandelbar - als Gegenstand temporärer Vereinbarungen, die mitten im Handgemenge vielstimmiger Interessen und Motive getroffen werden müssen. Das Sinnzentrum, das die Gesellschaft im Innersten zusammenhalten soll, erweist sich als leer. Die Einsicht, dass das Leben in der offenen Gesellschaft ein Leben mit der Ungewissheit als Dauerzustand ist, weckt jedoch Ängste und Ressentiments. Das Bedürfnis ist groß, das Wertevakuum mit neuen Sinnkonstrukten aufzufüllen. Weit davon entfernt, Unwägbarkeit als Bedingung der Freiheit anzunehmen, wächst in den Eliten der Wunsch nach neuer Homogenisierung, werden »Integration« oder die Rückkehr in eine »Wir-Gesellschaft« versprochen. Richard Herzinger hält dagegen: Gerade der Wegfall verbindlicher Wertvorstellungen bietet die Chance für ein humaneres gesellschaftliches Zusammenleben. Ein von der Illusion eindeutiger Lösungen befreites Denken wird eher in der Lage sein, tragfähige Übereinstimmungen für zunehmend individualisierte Gesellschaften hervorzubringen.