Der Fleck, die Jacke, die Zimmer, der Schmerz
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Eine Frau im Park, die zwei Walnüsse aneinander reibt, um Eichhörnchen anzulocken. Ein Mädchen, gedankenverloren in einem alten Fotoalbum aus dem Müllcontainer blätternd. Die schnöseligen Künstlerfreunde in der Stammkneipe, die einander mit eitlem Geschwätz überbieten. Ein indischer Bratwurstverkäufer, der jeden Vorbeigehenden glücklich grüßt, bis er nachts ermordet aufgefunden wird. Alles wird eingesammelt. Nichts ist unwichtig. Kein Zweifel, wir befinden uns im Lande Genazino, diesem seltsamen Tropengebiet der verfeinerten Wahrnehmung, wo sich Großstadtmenschen unter der Last dieses Lebens krümmen und verkümmern -- wo Nebensächliches zur Hauptsache wird und alles mit allem zusammenwirkt. Kleinstbeobachtung zählte schon immer zu den Stärken des Mannheimers Wilhelm Genazino, der spätestens seit seinem im Jahr 2001 erschienenen Roman Ein Regenschirm für diesen Tag einem großen Publikum bekannt ist. Doch bereits in diesem Frühwerk von 1989 galt sein sezierender, immer aber mitfühlender Blick den Fluchtbewegungen aus einem Alltag seelischer Verwüstungen. Als Genazinos Wehmutsexperte mitanhören muss, wie einige Musikschüler sich abfällig über einen gewissen Moz äußern, ist er schlicht entrüstet. Mozart, sein Hausgott, reduziert auf das Kürzelniveau von Mac Rib & Co., angekommen in der \"Ruinensprache\". Konsumiert und schnell verdaut. Zusammen mit seiner Freundin Gesa beschließt er, nach Wien zu reisen. Auf Mozarts Spuren wandelnd, wollen sie seine Ehre wiederherstellen. Immer mit dabei im Gepäck: die Tagebücher des Malers Max Beckmann, Schriften, die dem Überleben dienen. Genazino schickt seine Protagonisten auf eine träumerische Europareise in die schützenden Arme der Kunst. Ein Besuch in Kafkas Sterbezimmer wird zum Anlass einer flammenden Liebesbezeugung an den großen Prager. In Paris erleuchtet Degas das trüb gewordene Auge. Einzig im Lichte dieser ewigen Wahrheiten scheint ein Entrinnen möglich. Einmal hineingeraten, fällt es schwer, das Land Genazino wieder zu verlassen. Wer noch Sinne besitzt, wird immer tiefer hineingezogen in diesen fein ziselierten Sprachstrudel und geht mit geschärfterem Blick daraus hervor. Solche Literatur ist kostbar und selten geworden -- und deshalb den hoch dotierten Büchner-Preis wert, den man Wilhelm Genazino in diesen Tagen verleiht. --Ravi Unger
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