Heimgehen
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„Es war eine sehr bedrückende Zeit für Benno Wuttke. Kennen Sie das Gefühl, wenn im heißen Sommer ein Gewitter aufzieht? Der Luftdruck nimmt zu, auch die Schwüle. Von Weitem sehen Sie die Gewitterfront anrücken, in Gestalt dieser riesigen, an den Rändern schwarzen Wolken, die das Sonnenlicht zurückhalten. Alles wird still, die Schwalben fliegen tief und beeilen sich, noch Unterschlupf zu finden. Menschen, die eine solche Bedrohung spüren, verhalten sich anders, ganz anders. Menschen, die in Angst leben, sind nicht mehr frei. Ihre Gedanken und ihr Handeln werden von der Angst bestimmt. Die sind getrieben ...” Vor mehr als dreißig Jahren nahm sich im provinz-sächsischen Steinburg der evangelische Pastor Benno Wuttke auf spektakuläre Weise das Leben. Hatte er seinen Glauben verloren? „Jemand, der in seinem Glauben ruht“, sagt der Erzähler, „der weiß, dass Gott ihn an diesen Platz im Leben gestellt hat und nur Gott ihn von dort abholt, dieser Mann entschließt sich nicht zu einer solchen Tat." Wie konnte es geschehen, dass ein Geistlicher Gott sein Leben zurückgibt, ihm die Seele hinwirft? Tatsächlich wurde Benno Wuttke Opfer anonymer Gewalt, einer Zersetzung durch die Stasi. Jahre später schildert ein Amtsbruder im Interview mit einem Journalisten das Geschehene und kämpft dabei um seine eigene Integrität. Denn er steht unter Verdacht, Inoffizieller Mitarbeiter des MfS gewesen zu ein und Mitschuld an Benno Wuttkes Tod zu tragen. Karsten Krampitz' verstörende und vielschichtige Novelle geht über die Geschichte eines Freitods hinaus: Sie zeigt das kleine Glück der Menschen im Alltag, aber auch das Unrecht und die Einsamkeit, die jene erlebten, die sich damit nicht zufrieden gaben. Heimgehen ist die literarische Gegendarstellung zu den Presseberichten über den öffentlichen Freitod eines Pfarrers in der DDR im Sommer 1976.