In unserer Lage
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Die stete Auseinandersetzung mit seiner gewählten Wortwelt wie mit der Dichtung allgemein lenkt den Lyriker von der Realität ab, und so vertraut er sich seiner Imagination und der Begabung seiner Wortfindung wie der Intensität ihrer Aufbereitung an. Lyrik zielt dabei auf eine innere Ansprache und über das vorsätzliche Gleiten in eine eigene Seinsphäre jenseits der bereits erfaßten Welt eher zum Auflösen verfestigter geistiger Positionen und enger Emotionalität zu Gunsten einer Erweiterung dichterischer Sicht auf die Welt und die sich daran anschließenden und nachwirkenden Lebensverhältnisse. Lyriker bewegen sich in ihren Versen nicht zwischen richtig und falsch, und das weder im Sinne der Philosophie oder der Zeitströmung, noch der Moral oder der Grammatik. Ihre Dichtung ist, wenn gelungen, autonom und mit den immanenten Spuren der unfreiwilligen Selbstauflösung behaftet, sie vermag alles einzubeziehen oder abzuwehren, das Deutliche zu unterdrücken, das Verzogene, das Vorsätzliche bis zum Absurden zu durchdringen. Doch gilt weiterhin, alle Erkundungen, Selbstbezeichnungen oder Erläuterungen ihres Laufs durch die Sprache bleiben vage. Der Vorlauf von Kunstwerken zeigt jeweils eine eigene Geschichte in der Entfaltung der Selbstbezüglichkeit von Kunst wie von jeder einzelnen Dichtung. Die anwehenden Erscheinungen der Natur und die unbeschränkbaren Berührungspunkte unserer Sinne mit der Materialität als der beengenden, sich ständig erweiternden oder verfließenden Wirklichkeit arbeiten wir nie ab und begegnen ihnen in Freiheit. Das heißt, wir sind also auch durch die Natur als der unübersehbaren realen Welt mit einem Ausscherenden, einem Ziellosen als dem Unendlichen verbunden. Der „ästhetischen Identifikation“ (Hans Robert Jauß), den Empfindungen, den Urteilen läuft die Idee einer Dichtung bis in die Unendlichkeit des Materiellen voraus und noch mehr dem uferlosen Immateriellen hinterher, giert nach ihren Drogen, und das sind die Imagination, die Intuition, der einfallende melancholische Zauber der Entrücktheit, eine Umsetzung der inneren sprachlichen Unruhe, das Haschen nach Beständigkeit und der poetischen Eigenmoral und Eigenwilligkeit der nicht in allem vorgebbaren Sinnfähigkeit. Auch hier eine Grenze, aber wir bilden sie selbst durch geheimnisvolle Atempausen, Zaubereien des alogischen Abstands zum Natürlichen als ästhetischen Seinspunkt eines eigenen „interesselosen Wohlgefallens“ (Kant) und des Vergnügens an einer individuellen Realitätssetzung. „Es zeichnet Poesie sich eben aus durchs Fehlen einer klar bestimmten Grenze“, schrieb Jossif Brodskij (in: Post aetatem nostram). Die Illusion der eigenen Erfahrung und ihrer Sichtweisen – das ist der den Lyriker bedrückende Schatten unter der Wirklichkeit in unserer Lage.