Der Schrecken Gottes
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In seinem neuen Buch macht uns der Schriftsteller und Orientalist Navid Kermani mit einer Frömmigkeit bekannt, die verstört und provoziert: Es ist die Frömmigkeit der Heiligen und Narren, die Gott so nahe sind, daß sie allen Respekt vor ihm verloren haben. Sie begehren auf gegen den grausamen Schöpfer einer Welt voller Leiden. Ihr Aufstand gegen Gott bringt Gläubige ins Wanken, läßt aber auch den Ungläubigen nicht unberührt. Wer dieses glänzend geschriebene Buch gelesen hat, wird anders denken als zuvor - über Gott und über die Welt. Das Buch der Leiden des klassischen persischen Dichters Attar ist die vielleicht schwärzeste Dichtung, die je von einem Menschen geschrieben worden ist. Radikal, alle Beschwichtigungen und Tröstungen vernichtend ist Attars Blick auf die Welt, aberwitzig sein Sarkasmus, grandios der Kosmos des Leidens, den er entwickelt. Kermani nimmt das Buch der Leiden zum Ausgangspunkt, um die Geschichte jener Religiosität zu erzählen, die Gott kennt und liebt, aber ihm zürnt: eine Gegen- Theologie, die lange vor Hiob einsetzt und mit Georg Büchner noch längst nicht zu Ende ist. Sie zieht sich durch viele Religionen, vor allem aber verbindet sie auf hintergründige, bislang nie aufgedeckte Weise das Judentum, den Islam und die europäische Moderne - das Alte Testament, den Sufismus und die deutsche Literatur, wo sie am dunkelsten ist. Navid Kermani zieht den Leser mit fast magischer Kraft in den Bann eines Glaubens jenseits der Rechtgläubigkeit. Die offene Ratlosigkeit, zu der sich diese häretische Frömmigkeit bekennt, dürfte der Welt, wie sie sich auch in unserer Zeit durch Krieg und Hunger, Erdbeben und Sturmflut zeigt, eher gemäß sein als die Antworten der Freitags- und Sonntagspredigten.