Ästhetik des Augenblicks
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Eine Ästhetik des Augenblicks ist eine Ästhetik der Zeit. Einer besonderen Form der Zeit, der ›eingestürzten‹, punktuell verdichteten Zeit, wie Bruno Hillebrand in seinem grundlegenden Essay ausführt. Dieser Zeit galt die poetische Hoffnung, aus der verlöschenden metaphysischen Materie noch einmal Funken zu schlagen. Seit der Aufklärung hat die Geschwindigkeit zeitlicher Erfahrung zugenommen: Je unaufhaltsamer die Ewigkeit am Horizont verschwand, um so mehr drängte sich die Zeit den Menschen auf. Zeit erzeugt durch ihr ständiges Verschwinden Angst; die Romantiker brachten das als erste Generation literarisch zum Ausdruck. Da die Ewigkeit als Glauben zurückliegt und als Utopie, als Hoffnung, voraus, bleibt dem Menschen nur eine Möglichkeit, Sein und Zeit in einem Schnittpunkt zu verdichten: in der Erfahrung des gesteigerten, erfüllten Augenblicks. Der Topos ›Augenblick‹ steht in diesem Sinne bei Goethe, bei Schiller, vor allem aber bei Kleist, bei Nietzsche und Benn im Zentrum der poetischen Vision. Blitz und Augenblick und Epiphanie werden zu literarischen Zeichen einer nicht mehr einholbaren Metaphysik. Episch wird der Augenblick zum generellen Strukturmoment bei Proust, bei Joyce, bei Virginia Woolf, Musil und anderen Romanciers der Weltliteratur in unserem Jahrhundert. Kulturphilosophisch erhob Ernst Bloch mit dem Prinzip Hoffnung den Augenblick noch einmal zu einem wesentlichen Faktor ontologischer Bestimmung.