Zwischen Naturalismus und Religion
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Zwei gegenläufige Tendenzen kennzeichnen heute die geistige Situation der Zeit: die Ausbreitung naturalistischer Weltbilder und die religiöser Orthodoxien. Auf der einen Seite dringt mit den Fortschritten in Biogenetik, Hirnforschung und Robotik eine naturwissenschaftlich objektivierte Selbstauffassung von Personen auch in alltägliche Handlungszusammenhänge ein. Mit dieser Tendenz verbindet sich für die Philosophie die Herausforderung eines szientistischen Naturalismus: Strittig ist nicht die Tatsache, daß alle Operationen des menschlichen Geistes durchgängig von organischen Substraten abhängig sind. Die Kontroverse geht vielmehr um die richtige Art eines naturalistischen Verständnisses der kulturellen Evolution. Dieser Tendenz begegnet auf der anderen Seite eine unerwartete Revitalisierung von Glaubensüberlieferungen und die weltweite Politisierung von Glaubensgemeinschaften. Mit dieser Wiederbelebung religiöser Kräfte verbindet sich für die Philosophie die Herausforderung einer Grundsatzkritik am nachmetaphysischen und nichtreligiösen Selbstverständnis der westlichen Moderne: Strittig ist nicht die Tatsache, daß es politische Gestaltungsmöglichkeiten nur noch innerhalb des alternativlos gewordenen Universums der im Westen entstandenen wissenschaftlich-technischen und wirtschaftlichen Infrastrukturen gibt. Kontrovers ist vielmehr die richtige Deutung der Säkularisierungsfolgen einer kulturellen und gesellschaftlichen Rationalisierung. Der vorliegende Band versammelt Aufsätze, die sich im Horizont dieser Fragestellungen bewegen. Durch alle Beiträge zieht sich als roter Faden die Intention hindurch, den gegenläufigen, aber komplementären Herausforderungen von Naturalismus und Religion mit dem nachmetaphysischen Beharren auf dem normativen Eigensinn einer detranszendentalisierten Vernunft zu begegnen.